Die göttliche Komödie Version 2020

Die göttliche Komödie Version 2020

Jetzt wo sich die Welt langsam wieder aus der Schockstarre der Corona-Zeit herauslöst und sich ungläubig die Augen reibt, jetzt habe auch ich mich entschieden ein ehrliches Fazit über meine persönliche Katharsis aus diesem historisch relevanten Abschnitt dieses Jahres zu ziehen.

Nicht nur weil ich endlich wieder Zeit habe einigermaßen klar zu denken, sondern auch weil ich das zweifelhafte Glück hatte zuzusehen, wie die gesellschaftlichen Benimmregeln ad absurdum geführt wurden und wo meine Auffassung von Zivilisation doch einige blaue Flecke davongetragen hat.

Man kennt mich. Natürlich tue ich das mit einem guten Schuss Sarkasmus und viel Selbstironie – man muss schliesslich auch lachen können.

Ich heisse dich nun willkommen in meinem ganz eigenen Bestiarium.

Der Leser mag sich nun die berechtigte Frage stellen, ob es ein Schauspiel sei.

Mitnichten. Eher ein Unfall in Zeitlupe.

Denn nach nicht einmal zwei Wochen nach dem Ausrufen des Ausnahmezustandes, gings in der Schweiz auf einmal nicht mehr so solidarisch zu.

Ja, es gab da so einige die auch während der Corona-Zeiten nicht untätig herumsaßen und ich spreche hier nicht nur von den Alltagshelden an den Supermarktkassen oder dem vielfältigen Personal in sämtlichen gesundheitlichen Einrichtungen.

Zu glauben, dass nur die eben erwähnten Mitbürger sich mit allerlei Abgründen der schlimmsten Art herumschlagen mussten wäre ein Trugschluss.

Wer hätte gedacht, dass ein überzeugter Pazifist wie ich mal mit dem Gedanken spielt, anstelle von Namasté und Liebe, ein paar saftige Arschtritte zu verteilen – tja die Bedeutung der Wut war ebenfalls Teil meiner Katharsis und die ist noch nicht ganz überwunden.

In Dantes Meisterwerk, die Göttliche Komödie, durchläuft der Protagonist die neun Kreise der Hölle. Als ich also meine eigene Reise antrat, habe ich mir eine Liste der persönlich einschlägigsten Begriffe und Eckdaten erstellt und beschloss, diese aus Gründen der Faulheit, ans Alphabet anzupassen.

 

A wie Arschloch:

Ja, Du hast richtig gelesen. Arschlöcher gibt’s überall und in jedweder couleur, aber ich hatte doch den Eindruck, dass in Relation zur Ansteckungskurve die Arschlochkurve mitwuchs. Die Feldstudie hierfür konnte man beispielsweise an irgendeinem x-beliebigen Mehl-  oder Klopapierregal in irgendeinem Kaff irgendwo in der Schweiz durchführen. Die Trockenhefeabteilung diente als Rückversicherung für die vorher erlangten Erkenntnisse und manchmal, konnte man das Arschloch in flagranti an der Kasse beobachten, wie er fünfzig 1kg Pakete Mehl auf das Band hievte und einem geradewegs in die Augen schauen konnte - lass den Kampf beginnen. 

 

B wie Bundesrat:

Die sieben Bundesräte mussten in dieser Zeit schwierige Entscheidungen treffen und ich hätte nicht in ihrer Haut stecken wollen. Wirklich nicht.

Was ich allerdings beängstigender fand war die Tatsache, dass meine einstigen Lieblings-Witzfiguren plötzlich zum Mass aller Dinge wurden und dies auch noch erstaunlich gut machten. Man kann politisch argumentieren, wie man will aber für einen kurzen Moment, hätte ich nicht stolzer sein können eine Schweizer Bürgerin zu sein. Denn im Vergleich zu unseren lieben Nachbarn, haben unsere glorreichen Sieben relativ cool reagiert – wie Schweizer eben. Man geht hier mit der Angst um, wie man mit dem Geld umgeht. „Mä häts, aber mä zeigts nid!“

 

C wie Corona-Wahnsinn:

Die Krönung, im wahrsten Sinne des Wortes, war die Tatsache, dass nebst all den anderen, noch aktuellen Problemen der Welt, die Corona-Krise zum alles beherrschenden Thema wurde.

Grillen im Garten? Nein, Corona.

Fernsehen? Fällt aus, weil Corona.

Arbeiten? Ja, aber bitte im Schutzanzug, du weisst schon, Corona.

Oma umarmen? Spinnst du, Corona.

Mama umarmen? Halloooo, Corona.

Liebe machen? Corona!!! 

… echt jetzt?

 

D wie Durchschnittsbürger:

Ja, die Spezies Durchschnittsbürger ist in dieser Zeit definitiv und für immer ausgestorben. Entweder gehörte man zur Risikogruppe oder zum Alltagshelden. Man verwandelte sich zum Arschloch, oder zum Wutbürger. Man fühle sich zum Sittenpolizisten berufen oder lief zum Lager der Ignoranten über und, und, und.  

Wer jetzt die Verschwörungstheoretiker sucht kann noch lange suchen – die gabs schon immer, die Bezeichnung hat sich nur vom gelegentlichen Seitenhieb zum endgültigen Stigma entwickelt. 

 

E wie Easy:

„Ja weisch, du muesches eifach easy näh“

Ähä… ich stand während dieser Krise mehr als einmal an einem Punkt, an dem mich eine simple Entscheidung davon abhielt zum sprichwörtlichen Berserker zu werden. Wie sollte ich der Siffbirne vor mir den Unterschied zwischen chilligem Home-Office auf der Terrasse, ohne Kinder bei zwanzig Grad und schönstem Sonnenschein, und der Hölle durch die Andere in dieser Zeit gehen mussten am besten erklären ohne der Schwitzkasten-Fantasie in meinem Kopf freien Lauf zu lassen? 

Eins… zwei… drei… aaatmen.

 

F wie Freiheit:

Freiheit war schon immer ein geflügeltes Wort nur in diesem Fall hat es, zumindest aus persönlicher Sicht, einen homeresken Absturz a la Ikarus erlitten. Ich bin sicher, jeder Reisende kann nachfühlen, wie es mir verwöhntem Kind erging, als es plötzlich hiess: Grenzen geschlossen – Flüge gestrichen.

Nackte Empörung! Bis mir in meinem Selbstmitleid irgendwann dämmerte, dass dies in anderen Ländern gang und gäbe ist und dass die Generation unserer Eltern noch weit mehr in Bewegung setzen musste, um mal kurz die heimischen Gefilde zu verlassen und in den Sonnenuntergang zu reiten.

Ich musste mir eingestehen, dass ich mich doch sehr bequem eingerichtet hatte in meiner Vorstellung von persönlicher Freiheit und das ein einfacher Perspektivwechsel manchmal Wunder wirkt. Runterkommen und abwarten war also angesagt – verdammt.

 

G wie Gutmensch:

Ach der Gutmensch. Er ist die Antithese zum Arschloch und ist somit keinen Deut besser. Er bedient lediglich das andere Extrem des Spektrums und breitet seine Flügel auch schützend über jene aus, die seine Gutmütigkeit schamlos ausnutzen. Die Menschen, die immer alle verstehen und ja niemandem auf die Zehen treten möchten und alle gleichberechtigt behandeln wollen… Ehrlich, ich liebe euch aber geht jetzt bitte zur Seite wenn ihr euch nicht wehtun wollt.

Ihr erinnert mich manchmal allzu sehr an meine eigenen Unzulänglichkeiten und ja, manchmal will ich euch schlagen und manchmal glaube ich, dass ihr damit die Welt nicht besser macht sondern nur Ausreden sucht, um euch der manchmal harten und blutigen Realität nicht stellen zu müssen.

 

H wie Hamstern:

Auch wenn ich mich bis heute frage, wieso Klopapier in der Schweiz anscheinend zum wichtigsten Gut zu gehören scheint, will ich in diesem Abschnitt gar nicht allzu sehr darauf eingehen.

Denn es wurde überall gehamstert und zu jeder Tageszeit an jedem verd*** Ort. Ich backe gerne Brot, ich esse gerne Bohnen und ja, auch ich mag wirklich gerne ein Apfemus aus der Dose – gabs aber alles nicht. Danke Mitbürger des Höllenkreises Nummer eins.

Was gibts bei dir das nächste halbe Jahr zu essen, Bohnenbrot mit Apfelmusdip?! 

 

I wie Influencer:

Sorry, aber kein Beitrag von mir ohne ein wenig Influencer-Bashing. Es tut mir wirklich leid, aber was genau tragt ihr eigentlich zur Gesellschaft bei? Und wie fühlt es sich eigentlich an, seine Seele zu verkaufen?

Ich bin offen für konstruktive Diskussionen.

 

J wie Jugend:  

Die liebste Jugend. Ich bin eine eurer größten Verfechterinnen. Ich glaube an euch und daran, dass wenn ihr endlich geschnallt habt, dass auch ihr irgendwann sterben werdet, es besser machen könnt als wir. Aber manchmal geht ihr mir so unglaublich auf die Nerven, dass ich euch am liebsten fünf Jahre Hausarrest geben würde, weil sich nur so verhindern liesse, euren unglaublich inhaltslosen Gesprächen zuhören zu müssen.

 

K wie Kundendienst:

Ich denke es dürfte dem einen oder anderen nicht entgangen sein, dass ich ab und zu am Telefon anzutreffen bin, wenn man bei Werners Head Shop Online anruft. Ja, die mit der resoluten Stimme und der riesigen Klappe bin ich.

K wie Kundendienst ist der dunkelste und tiefste Kreis der Corona-Hölle. Hier musst du dich deinen Dämonen stellen, ob du willst oder nicht. Ein jeder von uns, meine Mitstreiter und ich, haben uns tapfer durchgekämpft, bittere Tränen geweint, größte Anstrengungen unternommen, um den Kunden die besten uns schönsten Schätze aus der Tiefe mitbringen zu können.

Wir ertrugen Häme für Fehler, welche wir nicht begangen hatten und wir steckten Schwerthieb um Schwerthieb ein. Doch wir wussten, wir tun es für die, die uns auch in der dunkelsten Stunde nicht allein lassen und deren aufmunternde Worte sich wie Balsam auf die manchmal allzu tiefen Wunden legten. Danke dafür - ihr seid die besten!

 

L wie Laut:

Ich mag es grundsätzlich, wenn Menschen sich nicht scheuen ihre Meinung kund zu tun. Jeder hat das Recht, sich auszudrücken aber…. muss es denn IMMER so LAUT sein? Den unbekannten Krähern, welche sich in dieser Zeit nicht anders zu helfen wussten, als die plötzliche Leere mit Bier zu füllen und dann lautstark hahnebüchene Polit-Diskurse vor meinem Zimmerfenster auszudiskutieren, kann ich nur sagen; Ihr hättet wirklich auch ein Bier für mich mitbringen können. 

 

M wie Mitmensch:

Der Mitmensch ist entweder Quell aller Freude in meinem Leben oder aber, und das leider zunehmend, das traurigste Beispiel an Idiotie das ich zu akzeptieren verdammt bin. Ich schätze hier gilt es einfach die Balance herzustellen. 

 

O wie Online:

Sosehr ich die Digitale Welt auch mag und mich in ihr zu bewegen weiss. Ich hasse es, wenn ich zum Sklaven werde und genau das ist passiert. Alles, aber auch alles wurde Online abgewickelt und das ist so bequem, dass auch ich mich danach erst mal wieder zwingen musste, regulär als echter Mensch irgendwo aufzukreuzen.

 

P wie Polizei:  

Der Fairness halber: ich spreche hier nicht von den echten Polizisten, welche einfach ihren Job machen, sondern von den lieben Mitbürgern, die sich selbst zur Sittenpolizei ernannt haben und ihrer lang gehegten Phantasie, mal ein grosser Diktator zu werden, freien Lauf liessen. 

Ich mag euch nicht! 

 

Q wie Quarantäne:

Ich denke dabei an schwarzgelbe Flaggen und mit Pusteln übersähte Körper. Ich denke dabei an Pest und an mit Leichen beladene Eselskarren und das alles in mittelalterlicher Kulisse– das dieses Wort mir mal so nahekommen und dessen unheilvolle Bedeutung sosehr bei mir nachklingen sollte, daran habe ich nie gedacht. Zum Glück ist es nie dazu gekommen.

 

R wie Ruchlos:

Eine einzige Klopapierrolle für 15.- auf Ricardo verhökern – zwei Worte: Nicht. Cool! 

 

S wie Social Distancing:

Ich bin ein Umarmer weil ich diese Form der Begrüssung den Küsschen vorziehe und weil ich den Menschen die ich liebe gerne nahe bin. Wenn ich mich aber in Gegenwart meiner besten Freunde fragen muss, ob ich sie nun umarmen darf und wir dastehen wie Sechstklässler beim ersten Abschlusstanz…. naja!

 

T wie Teilen:

Einen Joint raucht man nicht allein. Habe ich noch nie, werde ich auch nie – in Zeiten, in denen man Masken trägt und sich bis auf zwei Meter niemandem nähern darf, wird das gesellige Tüte-teilen jedoch schwierig. Ich war brav – aber spassig war`s nicht.

 

U wie Umarmung:

Unser Held aus der göttlichen Komödie erreichte, nachdem er die neun Kreise der Hölle durchlaufen hatte, das Purgatorio. Das Inferno war überwunden und nun ging es aufwärts.

Die Menschen die ich liebe umarmen zu dürfen ist wie nach einem langen Tauchgang an die Oberfläche zu kommen und endlich Luft zu holen. Endlich! 

 

V wie Vulnerabel:

Ich habe die Nachteile, sowie die Vorzüge dieses Wortes in dieser Zeit auf eine ganz neue Art und Weise kennenlernen dürfen. Im emotionalen Sinn, öffnen sich neue Perspektiven seine Mitmenschen zu betrachten, wenn man sich seine eigene Verletzlichkeit sowie die Verletzlichkeit des Gegenübers vor Augen führt.

 

W wie Wahrheit:

Keiner hat die Wahrheit gepachtet und keiner hat die Antwort auf alle Fragen. Also hören wir doch einfach auf so zu tun als wüssten wir wovon wir sprechen und hören stattdessen einfach mal zu.

 

X wie Xund:

Eine ausschliesslich schweizerische Schreibweise eines wunderschönen Segens. "Bliib Xund."

Ich liebe es.

 

Y wie YOLO:

Einem so sprachaffinen wie literaturliebenden Wesen wie mir, sind Abkürzungen und flache Aussagen in Neonfarben und Insta-Filter ein Gräuel. Doch ich muss gestehen, ein bisschen konnte ich mich mit dem Ausdruck You-Only-Live-Once doch anfreunden. Aber nur ein bisschen. Mit viel Abstand und Schutzmaske.

 

Z wie Zusammensein:

Das, was ich am meisten vermisst habe.

 

Für jene Leser, welche sich bis hierher durchgekämpft haben, vielen Dank! Und solltest du dich dazu berufen fühlen diese Liste zu ergänzen – tu dir keinen Zwang an denn du weisst ja - YOLO!

 

Bild: Netzfund

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